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Psychoanalytische Praxis, Supervision, Beratung, Forschung & Lehre


»Die Psychoanalyse drängt jeden, ein recht beträchtliches Stück der Welt nicht nur neu zu sehen, sondern auch neu zu werten, und in dieser neu gesehenen, neu gewerteten Welt auch neuartig zu handeln.«

Siegfried Bernfeld

 AKTUELL

 



Die zwei Beine des François Tosquelles


Von einer Konferenz aus dem Jahr 1965 ist folgender Redebeitrag von Tosquelles überliefert: »Diejenigen unter Ihnen, die bereits an unseren Arbeitsgruppen teilgenommen haben, wissen, dass wir alle das klare Gefühl haben, dass, wenn wir mit einem Bein vorwärts gehen, das andere folgen muss. Wenn man gehen will, stützt sich der ganze Körper auf das andere Bein, damit das erste Bein es wagt, sich in die Leere zu stürzen, und so abwechselnd. Leider stellen wir fest, dass einige das Freud´sche Bein vorschieben möchten, ohne jemals das andere zu bewegen ... und es fehlt auch nicht an denen, welche die umgekehrte einbeinige Wahl treffen.« Besser als in diesem letzten Satz, lässt sich auch heute, über ein halbes Jahrhundert später, nicht die anhaltende Misere der Versuche der Vermittlung von Marx und Freud beschreiben. François Tosquelles fordert uns auf eine zweibeinige Wahl zu treffen, — und Marx und Freud von vorneherein als Mitfüßer zu behandeln. Ohne eine solche »doppelte Wahl« kann man auf beiden Seiten der vermeintlichen Kluft, die Marx und Freud zu trennen scheint, nur humpeln, lahm und schwerfällig in die Leere gehen. Demgegenüber gilt es, anders, sich fortbewegend immer wieder auf das zweite Bein zu stützen, damit das erste Bein es wagt, sich in die Leere zu stürzen. Auf diesen zwei Beinen nicht nur des Denkens, sondern gleichzeitig des Tuns und Lassens der Institutionellen Psychotherapie geht man derart also mit Marx und Freud in dieselbe Richtung. Und so braucht es heute eine neuerliche Beschäftigung mit dieser von François Tosquelles mitbegründeten Praxis: damit dem einen Bein einer kritischen Theorie — so leichtfüßig wie beim Gehen — auch das andere folgt.


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Junktim #5: Wertkritik und Kritik des Subjekts


Nicht nur stehen sich die mit der Freud´schen Hypothese des Unbewussten untrennbar verbundene Kritik des Subjekts und die den Kern von Marxens Kritik der politischen Ökonomie bildende Auffassung des Werts als automatisches Subjekt gegenüber, — sondern weder Marx noch Freud sind den Grenzen der eigenen Herangehensweise gegenüber blind gewesen, bzw. umgekehrt: sie sind sehr wohl empfänglich dafür gewesen, dass ein anderer Ansatz die eigene Disziplin ergänzen kommen muss. Freud wird dem marxschen Wort von den so widerstrebenden wie elastischen Naturschranken des Menschen den Begriff der menschlichen Triebanlage an die Seite stellen; Marx hat von vorneherein schon die freudsche Frage nach der Regelung, der Führung und den Störungen des menschlichen Zusammenlebens an die Bewegungskraft der Verwertung des Werts gebunden. Als Ausgangspunkt ist also auf beiden Seiten bereits zu erkennen, dass die zwei Kritiken nur zusammen das Individuum an seiner Lebenswurzel angehen: Freuds »Bildungen des Unbewussten« und Marxens »industrielle Pathologie«! Die einen wie die andere entlarven, auf ihnen jeweils eigentümliche Weise, das Problem des Bewusstseins als eigentliches Skandalon. »Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt«, hebt Marx in einem Satz, der von Freud stammen könnte, an, — um dann im selben Atemzug fortzufahren: »ebenso wenig kann man eine [...] Umwälzungsepoche [sozialer Revolution] aus ihrem Bewusstsein beurteilen, sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären.« Nur stehen sich, diesem gemeinsamen Skandalon zum Trotz, die freudsche Kritik des Subjekts und die marxsche Kritik der politischen Ökonomie dort gegenüber, wo zwischen ihnen sich eine, nicht zuletzt methodologische, Kluft auftut. Wie also sind sie miteinander zu vermitteln?


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Hommage an Lacan

 

Jacques Lacans vornehmster Einsatz in der Geschichte der psychoanalytischen Bewegung wird auf immer derjenige sein, darin nicht nachgegeben zu haben, dass der Sinn des psychoanalytischen Abenteuers in einer Praxis gründet, — in einer Praxis für die Psychoanalyse. [...]

Damit eröffnet Lacan noch einmal die Wette darauf, ob es nicht doch eine Gemeinschaft der Psychoanalytiker geben kann, die sich in der Lage sieht, das freudsche Erbe —nämlich das von Anfang an und auf immer Widerspenstige der Psychoanalyse, insofern es von anderer Art ist— über den Tod ihres Begründers hinaus, das heißt, zukünftig ohne ihn zu tragen. [...] Freud wird bis hin zu seinen allerletzten Arbeiten nicht müde zu unterstreichen, dass seine Annahme des Unbewussten einzig auf der Theorie der Libido fußt. Indem er diesen Boden der psychoanalytischen Voraussetzungen als Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache untersucht, fragt Lacan nach der Logik dieser Annahme — nicht nur hinsichtlich der Logik des Unbewussten, sondern zugleich und viel mehr noch im Sinne einer Logik für das Unbewusste. Heute, siebzig Jahre nach seiner ›Rede von Rom‹, vierzig Jahre nach Jacques Lacans Tod, sieht sich diese Logik für das Unbewusste mehr denn je von allen Seiten bedroht, — und dies umso mehr als die Anerkennung des mit dieser Logik untrennbar verbundenen »ontologischen Bruchs« (R. Kurz) lange Aussichten hat. Die diesem inneren Zusammenhang entsprechende kategoriale Kritik ist im freudschen Werk angelegt. Jacques Lacan hat sie, als die Welt schon einmal an ihr vergessen wollte, von dort hervorgeholt und zu entfalten versucht. Die Psychoanalytiker täten heute mehr denn je gut daran —und zwar: »mit den Mitteln ihrer Lehre« (P. Parin)— herauszuarbeiten, warum, stets und immer wieder aufs Neue, die Verwaltung dieser ontologischen Krise dem Vollziehen des Bruchs und der Anerkennung seiner Folgen vorgezogen wird. Im rasenden Taktschlag eines globalen Krisengeschehens stehen vorläufig noch immer auch und gerade die Psychoanalytiker still, — und laufen einmal mehr Gefahr, die Freud’sche Entdeckung des Unbewussten der Verwaltung der durch eben diese Entdeckung angestoßenen Krise zu opfern. Nichts in der Geschichte der psychoanalytischen Bewegung im 20. Jahrhundert und bis zum heutigen Tag deutet allerdings daraufhin, dass diesmal die sich bereits ankündigende erneute Auflösung in die Barbarei an den Psychoanalytikern und ihren Mitmenschen nur vorbeiziehen wird.